
Ramin hat 2018 von Bühl geschwärmt. Trotzdem zieht die Familie Anfang 2022 zu seiner Schwester nach Frankfurt. „Das war eine ganz schlechte Entscheidung von uns. Wir sind nach acht Monaten zurückgekommen.“ Warum? Vor allem die Kinder hätten gelitten und sich nicht wohlgefühlt. In Bühl hatten sie sich eingewöhnt, das sei ihre neue Heimat gewesen. Der Umzug nach Frankfurt war eine erneute Entwurzelung. Ramin: „Wir haben uns zusammengesetzt und eine Entscheidung getroffen, bevor es zu spät ist, mussten wir zurück.“
Zurück nach Bühl. Das Unternehmer-Ehepaar, bei dem er seine Ausbildung zum Verkäufer gemacht hatte, hilft beim erneuten Ankommen in der Zwetschgenstadt. Die Familie liebt die kleine Stadt. Mit ein Grund, warum sie sich inder Großstadt Frankfurt nicht wohl gefühlt haben. Beide, Ramin und seine Frau, haben wieder in Bühl eine Arbeit gefunden: Ramin in einem Baumarkt und seine Frau in der Produktion einer Bäckerei. Der 16-jährige Sohn will nach der Mittleren Reife auf das Wirtschaftsgymnasium gehen. Auch die beiden Töchter gehen zur Schule. Das sind die Erfolgsgeschichten ganzer Familien.
Der gebürtige Afghane und seine Frau haben mittlerweile die deutsche Staatsangehörigkeit. Sie haben alle Voraussetzungen erfüllt: Sie hatten mit der sogenannten Niederlassungserlaubnis das unbefristete Aufenthaltsrecht. Ihr Sprachlevel liegt über B1-Niveau, die Integrationskurse wurden erfolgreich absolviert und der Einbürgerungstest bestanden. Dazu gehört das Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Sie haben keine Vorstrafen, verfügen über ausreichenden Wohnraum und eine gesicherte Lebensgrundlage. Selbst wenn nach der badischen Aussprache der typischen Stadtfrucht gefragt worden wäre, hätten sie alle Hürden bewältigt: Ramin kann im schönsten Dialekt „Zwetschge“ sagen.
Denken Sie noch oft an ihr Geburtsland Afghanistan? Ramin wird nachdenklich, traurig: „Man kann nie sein Land vergessen. Herz und Gehirn denken automatisch an die Vergangenheit. Aber wir leben unser Leben.“ Und das ist jetzt in Bühl, in Deutschland. Ihre Träume sind greifbar und klingen sehr deutsch: vielleicht eine eigene Immobilie, Studium für die Kinder.
Bekommt er mit, wie Deutsche über Afghanistan reden, wie sich die Politik dort und hier entwickelt? Er nickt: „Die beiden Länder kann man nicht miteinander vergleichen. Deutschland ist 100, 150 Jahre voraus vor Afghanistan.“ Seine Kinder hätten dort keine Chance gehabt, „keine Chance für Entwicklung“. Er ist dankbar für das Leben hier und fühlt sich integriert. Frage an ihn: „Was würdest du dem Bundekanzler Merz sagen?“ Ramin: „Dass er alle Flüchtlinge schnell zum Sprachkurs schickt und auf den Arbeitsmarkt.“
Was denkt er über „Remigration“ und Rechtsradikale? „Wenn diese Leute an die Macht kommen, spielt es keine Rolle, ob wir einen deutschen Pass haben und Arbeit oder dass es Krieg in unserem Land gibt…“ Das mache ihnen Angst. Er wird von anderen Afghanen gefragt: „Müssen wir zurückgehen?“ Dabei wünschten sie sich nicht mehr als ein gutes Leben in Deutschland, zu dem er mit seiner Familie beitragen will. Ein gutes Leben und Frieden „für meine Kinder und für alle“.
Für die Politik ist Afghanistan ein sicheres Land. Für Ramin ist es seine Heimat, in der er nicht leben kann. Ein Land, aus dem er schon als Achtjähriger mit seiner Mutter fliehen musste, nachdem sein Vater im Bürgerkrieg erschossen worden war. Zusammen mit den fünf Geschwistern retten sie sich in den Iran, wo er bereits mit 12 Jahren arbeiten muss: fünf Jahre als Dachdecker, sechs Jahre als Gerüstbauer. Die Chance auf eine normale Jugend, wie in Deutschland üblich, hatte er nicht. Doch das erhofft sich Ramin nun für seine drei Kinder. Ein Mädchen wurde auf der Flucht in der Türkei geboren und eines in Achern. Sein Sohn ist 10. Für alle drei wünscht sich der junge Afghane, was sich wohl jeder Vater wünscht: Frieden und Bildung. „Krieg, das bedeutet auch keine Arbeit, keine Schule, keine gute Ernährung.“
Ramin weiß genau, was notwendig ist, damit er vielleicht eines Tages sagen kann: „Ich bin ein Badener.“ Er sagt den Satz mit Nachdruck und in gutem Deutsch: „Der erste Schritt, wenn man in ein fremdes Land geht, ist die Sprache. Ohne Sprache ist man wie blind.“ Der 28-Jährige hat fleißig seine Kurse besucht: zum Lernen von Deutsch und für den Integrationstest „Leben in Deutschland“. Mittlerweile macht Ramin eine Ausbildung zum Verkäufer beim Schließanlagen-Fachhandel Beuchert in Bühl. Er ist seinen Chefs und Kollegen sehr dankbar. Immer wieder essen sie zusammen – und er fühlt sich zugehörig.
Bühl. Das ist seine neue Heimat. Er genießt die Natur und dass es nicht zu viele Autos gibt. Auch dass man mal eben einkaufen gehen kann und nicht lange fahren muss. „Ich mag die kleine Stadt.“ Hier hilft man ihm, ist nett zu ihm. Hier möchte er bleiben. Natürlich, lacht er, geht er auch zum Zwetschgenfest – und gibt sich bei der Aussprache große Mühe. Integrationstest für Bühler? Bloß nicht „Pflaume“ sagen und die blaue Frucht richtig aussprechen! Fast könnte man ihm zurufen: Geschafft!
Zurück nach Afghanistan? Der Gedanke ist weit weg. „Ich habe keine Hoffnung für mein Land.“ Er denkt an den Krieg, an die Taliban, an die Angst. Aber die Angst ist nicht verschwunden, sondern hat sich gewandelt. Er hat keine attestierte Sicherheit, ob er in Deutschland bleiben darf. Sein Status: Aufenthaltserlaubnis. Ramin würde sich freuen, wenn er langfristig planen könnte: Ausbildung bestehen. Hier bleiben. Mit allen Sicherheiten und Freiheiten, die er sehr schätzt. Er will für sein Ziel kämpfen. Ganz besonders für seine Familie. Bildung ist für ihn der Schlüssel für die Zukunft. „Wer nicht zur Schule geht, weiß nichts über die Welt.“
Freiwillig wiederholt er sein erstes Ausbildungsjahr. Ramin kämpft, vor allem der Besuch der Berufsschule fällt ihm schwer. Von Null auf 100, schließlich hat er nie eine deutsche Schule von innen gesehen. Trotzdem besteht er den „Deutsch-Test für Zuwanderer“ im Bereich Sprechen mit sehr guten Noten. Schreiben dagegen fällt ihm schwer. Kein Wunder, wer von uns könnte seine Sprache so schnell lernen?
Ramin kann sich noch gut an die erste Zeit in Bühl erinnern. Die ersten Treffen im „Café International“ vom DRK. Hier fand er Freunde, „christliche Freunde“, wie er sagt. Der junge Familienvater lernt schnell. Er liest in den Gesichtern und in der Körperhaltung, in Mimik und Gestik, wer gute oder schlechte Laune hat. Wer ihm gut gesonnen ist oder eben nicht. Auch, was in Deutschland zählt: „Die Arbeit exakt machen. Pünktlichkeit ist der erste Schritt.“ Er erklärt bereitwillig, warum er mit seiner Familie zum Geflüchteten wurde. Warum sie sich die Tortur im Winter durch Kälte und Schnee in den Bergen, schließlich über das Meer, angetan haben. Er kann von Terror und Toten berichten. Von der Angst zu sterben. In Afghanistan. Im Iran. Auf der Flucht. Aber Aufgeben war kein Gedanke: „Wir mussten fliehen. Für eine gute Zukunft.“
Dieser Beitrag wurde 2017 von Ute Kretschmer-Risché geschrieben und 2025 aktualisiert.