
Trotz geplatzer Träume – Anas ist ein lächelnder und zufriedener Mensch. Warum lamentieren? Anas gibt nach der Flucht seinen Traum vom Jura-Studium auf und macht eine Ausbildung zum Krankenpflegehelfer am Klinikum Mittelbaden. Wenn seine Freunde feiern, winkt der 28-Jährige oft ab: „Kann nicht, habe Spätschicht.“ Stets mit einem Lächeln und einem lustigen Spruch auf den Lippen. Auch für Patientinnen und Patienten oder im Kollegenkreis. Mittlerweile hat er eine Festanstellung und hilft, den Pflgenotstand ein wenig zu beheben.
Aber er hat noch mehr Grund zum Strahlen: Anas hat sich mit einer Syrerin verlobt. Bei allem, was wir über Integration denken, reden oder schreiben: Ein Faktor ist für alle unverzichtbar – die Perspektive der Familienplanung. Das ist keine Frage der Nationalität, sondern des Alters und natürlich der Gefühle.
Anas‘ zieht ein positives Fazit für sich selbst: „Seit 2016 habe ich in Deutschland wervolle Erfahrungen gesammelt. Ich habe viele Menschen kennengelernt und durch meine Arbeit zahreiche Kenntnisse erworben.“ Er fühle sich wohl, auch wenn sich „meine Wünsche nicht erfüllt haben, aber mit der Zeit werde ich sie verwirklichen“, ist er zuversichtlich. „Ich bereue nicht, nach Deutschland gekommen zu sein. Ich bin dankbar, hier zu sein.“ Ganz klar, der Schlüssel zur Integration läuft bei Anas, wie bei vielen, über das Lernen der deutschen Sprache. „Der Kontakt zu Nachbarn, Kollegen und in Vereinen hat mir geholfen, mich als Teil der Gemeinschaft zu fühlen.“
Sag mal, Anas, hast du etwas von der deutschen Kultur und Mentalität angenommen? Der eingebürgerte Syrer mit deutschem Pass strahlt wieder: „Ich habe gelernt, wie wichtig Pünktlichkeit ist. Sie ist mittlerweile ein wichtiger Bestandteil meines Alltags geworden.“ Ob er jemals in seine Heimat zurückkehren wird, weiß er nach dem langen zerstörerischen Krieg noch nicht. Er hoffe jedenfalls, dass die Deutschen die Syrer als ein besonders „erfolgreiches und fleißiges Volk wahrnehmen“. So wie Anas es vorlebt. Aber nicht mehr als „Flüchtling“, sondern als eingebürgerter Deutscher.
Die Geschichte der Flüchtlinge ist immer auch eine Geschichte von geplatzten Träumen. Wie bei Anas Hasan aus Syrien. Nach seinem Schulabschluss will er Jura studieren, um eines Tages die Kanzlei des Vaters zu übernehmen. Er sammelte alle nötigen Unterlagen für die Einschreibung an der Universität und war bereit für den Start in seine Karriere. Doch das Schicksal meinte es anders mit ihm. Der Krieg zwang ihn und zwei Brüder zur Flucht aus seiner Heimat, die für viele in seinem Alter zum Todesgrab wurde.
Seine Freunde waren in die syrische Regierungsarmee eingezogen worden, er konnte wegen seiner ursprünglich türkischen Herkunft dem Dienst noch ausweichen. Bevor er schließlich zur Waffen greifen musste, floh er. Zunächst lebte er alleine, ohne seine Geschwister. Er fand neue Freunde aus Syrien in Deutschland, lernte eifrig die neue Sprache – und begriff, dass er seine alten Pläne vergessen muss. Mittlerweile hat er über ein Praktikum im Klinikum Mittelbaden seinen neuen Berufswunsch gefunden: Er will Krankenpfleger werden. Sein Vorbereitungsjahr für die Ausbildung hat er begonnen. Endlich hat er wieder neue Herausforderungen, viel Kontakt zu neuen Menschen und Spaß an seiner Tätigkeit.
Um 6 Uhr morgens tritt er seine Schicht an und hilft beim Verteilen der Mahlzeiten und der Medikamente, auch beim Waschen der Patienten und beim Wechsel von Infusionen. Er strahlt, weil er Bedürftigen helfen kann und ihn die Nähe zu Menschen begeistert.
Das sind seine großen Ziele: Berufsabschluss, Anstellung mit festem Gehalt, eines Tages eine Familie gründen und seine Geschwister und Eltern nach Deutschland bringen. Zwei Brüder sind bereits hier. Einer davon lebt sogar mit ihm in der ersten, eigenen Wohnung. Der Stolz darüber glänzt in seinen Augen, wenn er davon erzählt. So auch, wenn er von seiner Ansicht zur Identität eines Menschen spricht. Ist ein Mensch primär durch seine Herkunft einzuordnen? Dem praktizierten Glauben? Für ihn spielt die Kultur keine Rolle, Herkunft ist weniger relevant als gewählte Religion. Im Kern jedoch gilt für ihn: „Der Mensch ist Mensch“. Eine vage Aussage und ein Aufruf zur differenzierten Betrachtung. Anas hat es verdient, als Individuum wahrgenommen zu werden, das hier in Deutschland einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft leisten will.
Dieser Beitrag wurde 2017 von Kevin Bernowski geschrieben und 2025 von Ute Kretschmer-Risché aktualisiert.